Fragen und Antworten
1) Wie seid ihr das ganze Vorhaben „Wohnprojekt“ angegangen?
Die Kennlern- und Vorbereitungsphase dauerte ungefähr zwei Jahre. In dieser Zeit fanden regelmäßige Treffen in der VHS statt, bei der die Interessierten sich über ihre Vorstellungen und Ideen austauschten. Dabei wurden alle möglichen Fragen besprochen. Manche mögen auf den ersten Blick nebensächlich wirken, haben für das konkrete Zusammenleben aber große Bedeutung. Zum Beispiel: Sind Haustiere erlaubt? Wie viel Verantwortung will man füreinander übernehmen? So kristallisierte sich im Laufe der Monate ein „harter Kern” aus der Gruppe der Interessierten heraus.
Zudem wurden in dieser Zeit viele Kontakte zu bereits existierenden Wohnprojekten geknüpft. Bei der Besichtigung von anderen Wohnprojekten wurden die Gemeinschaftsräume immer ganz genau angeschaut, denn für die Gründungsgruppe stand schnell fest, dass sich das neue Wohnprojekt durch eine gute Balance aus Privatsphäre und Gemeinschaftsleben auszeichnen sollte. Darum wurde gleich zu Beginn die untere Etage des Hauses als Gemeinschaftswohnung angemietet. Hier finden unter anderem die monatlichen Haussitzungen und andere gemeinschaftliche Aktivitäten wie Film- oder Spieleabende statt.
Und als historischer Fun-Fact: Vor einigen Jahrzehnten befand sich in dieser Gemeinschaftswohnung ein Fischgeschäft; wenn man genau hinschaut, kann man noch architektonische Spuren aus dieser Zeit entdecken.
2) Wie habt ihr euch für das Haus und den Stadtteil entschieden?
Der Wohnprojektgruppe war schnell klar, dass sie in der Stadt gründen möchten, da es dort eine deutliche bessere Anbindung an Einkaufsläden, Arztpraxen etc. gibt und so die eigene Mobilität (gerade für die älteren Menschen) gewahrt werden kann.
Ideen, das /stadtteil-bremerhaven/Wohnprojekt irgendwo auf dem Land zu gründen, wurden zwar auch diskutiert, aber relativ rasch verworfen. Dennoch hat sich die Gruppe in der Vorgründungsphase aber auch einige Wohnprojekte auf dem Land angeschaut. Letztlich war jedoch allen klar, dass das Wohnprojekt in der Stadt liegen sollte. Das mag auch daran gelegen haben, dass viele aus der Gruppe schon vorher in der Stadt gewohnt haben.
Die Objektsuche dauerte etwas länger. Die Entscheidung, das Projekt im Stadtteil Lehe zu gründen, hat die Gruppe sicherlich nochmal enger zusammengeschweißt. Anfang der 2000er Jahre galt Lehe und insbesondere das Quartier rund um die Goethestraße nicht gerade als Vorzeigeadresse. Noch heute hat das Viertel mit vielen Problemen zu kämpfen. Für die Projektgruppe war von Anfang an klar, dass das gemeinsame Haus keine abgeschottete Insel sein sollte, sondern dass das Wohnprojekt sich aktiv in die Stadtteilarbeit einbringt.
3) Wie habt ihr das Wohnprojekt finanziert? Habt ihr das Haus gekauft oder gemietet?
Alle Bewohner:innen haben Einzel-Mietverträge mit der Stäwog (Städtische Wohnungsbaugesellschaft). Dies war eine bewusste Entscheidung zu Beginn, da Eigentum stärker verpflichtet und unterschiedliche Wohnverhältnisse gemeinschaftliches Wohnen auf Augenhöhe erschweren. Auch ermöglicht Mieten eine größere Flexibilität und war einfacher zu finanzieren.
Unser Haus — die Goethestraße 43 — wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut. Die Stäwog hat am Anfang die Grundsanierung übernommen und durch den Einbau eines Fahrstuhls vom Erdgeschoss bis zur dritten Etage Barrierefreiheit ermöglicht. Bei Beginn des Projekts wurden die Wohnungen individuell nach den Wünschen der Bezieher:innen angepasst. So wurden z.B. Wände eingerissen, um Räume zu vergrößern.
4) Seid ihr ein Verein?
Die Planungsgruppe des Wohnprojektes hat sich ausführlich rechtlich beraten lassen und sich schließlich gegen eine Vereinsgründung ausgesprochen. Das gemeinschaftliche Wohnen sollte keinen zu formalen Charakter bekommen. Zudem war es der Gruppe wichtig, dass eine gewisse organisatorische Flexibilität beibehalten wird. Auch sollten wichtige Entscheidungen z.B. zu Ein- und Auszügen unbürokratisch getroffen werden können.
5) Wie ist die Alterszusammensetzung?
Beim Einzug in die Goethe 43 waren die meisten zwischen 50 und 60 Jahre alt, doch das Projekt war von Anfang an als Mehrgenerationenhaus konzipiert, und so zog auch schon kurz nach der Gründung eine Familie mit kleinen Kindern ein. Auch heute wohnen im Haus wieder drei Kinder im Grundschulalter, während die „Hausältesten” inzwischen schon Mitte 80 sind. Die Mischung der Generationen macht das Zusammenleben bunter und interessanter. Zudem können sich die verschiedenen Generationen gegenseitig im Alltag unterstützen: sei es bei der Kinderbetreuung oder bei technischen Fragen.
6) Wie gestaltet sich das Gemeinschaftsleben? Welche Rolle spielt die gegenseitige Unterstützung?
Wir treffen uns regelmäßig im Innenhof und in der Gemeinschaftswohnung zu Kaffee und Kuchen, feiern zusammen Geburtstage und andere Feiertage und haben unsere monatliche Haussitzung. Bei dieser wird v.a. über Organisatorisches und über Anliegen des Wohnprojektes gesprochen. Manchmal gibt es auch Filmabende, größere Ausflüge wurden auch schon unternommen und wir veranstalten eine Julklapp.
Wir helfen uns bei praktischen Dingen gegenseitig viel (z.B. Haustierversorgung im Urlaub, Autoverleih, gegenseitige Unterstützung bei Einkauf und Reparaturen etc..), aber auch nur bis zu einem gewissen Grad. Wir haben am Anfang klar verabredet, dass wir keine gegenseitige Pflege übernehmen. Dann muss man sich professionelle Hilfe holen oder sich für eine andere Art der Unterbringung entscheiden, was auch schon passiert ist.
7) Wie geht Ihr mit Konflikten um?
Bei 10 Wohnparteien und ungefähr 20 Bewohner:innen bleiben Meinungsverschiedenheiten natürlich nicht aus. Manchmal stehen sich verschiedene Bedürfnisse gegenüber, die nicht immer ausschließlich, aber auch mit dem Mehrgenerationencharakter zusammenhängen. Die monatlichen Haussitzungen dienen dazu, die anstehenden Aufgaben und ggf. auftretende Probleme und Bedürfnis- oder Interessenskonflikte gemeinsam offen zu besprechen.
Eine größere, grundsätzliche Auseinandersetzung wurde einmal mit Hilfe einer externen, auf Wohnprojekte spezialisierten Mediatorin gelöst.
8) Was passiert, wenn jemand auszieht? Wie wird über Neueinzüge entschieden?
Dem Wohnprojekt war es von Anfang an sehr wichtig, dass die Bewohner:innen selbst darüber entscheiden dürfen, wer in eine freigewordene Wohnung neu einzieht, und hat sich dieses Recht auch von der Stäwog garantieren lassen. Wenn eine Wohnung frei wird, wird zuerst gefragt: Kennt jemand jemanden, der/die Interesse hat? Wenn nicht, dann geben wir eine Anzeige auf. Dann findet ein ausführliches Kennlerngespräch zwischen dem Wohnprojekt und den „Kandidat:innen” statt. Anschließend stimmen alle Bewohner:innen ab und es wird mehrheitlich entschieden. Das hat bislang immer sehr gut geklappt, und auf diese Weise (persönliche Kontakte) sind auch in den letzten Jahren zwei Wohnungen neu vermietet worden.